Wieso wollen wir Angst vermeiden? Die Psychologie hinter dem Drang zur Sicherheit
- Baramu Design®
- 30. Okt. 2024
- 5 Min. Lesezeit
Angst ist ein zutiefst menschliches Gefühl. Sie kann lähmend, aber auch schützend sein. Evolutionär betrachtet, hat uns Angst geholfen, in gefährlichen Situationen zu überleben. Doch heute sind es oft nicht mehr wilde Tiere oder Naturkatastrophen, die uns bedrohen, sondern vielmehr alltägliche Stressoren wie Prüfungen, Konflikte oder finanzielle Unsicherheit. Trotzdem bleibt die Reaktion auf Angst unverändert: Wir wollen sie um jeden Preis vermeiden. Aber warum ist das so? Was treibt uns dazu, vor der Angst davonzulaufen, statt uns ihr zu stellen?
In diesem Blogbeitrag schauen wir uns die Ursachen dieser Vermeidungshaltung genauer an und beleuchten, was die Psychologie dazu sagt.

Angst: Eine überlebenswichtige Emotion
Angst ist ein Grundgefühl, das tief in unserem Gehirn verankert ist. Sie hat sich über Millionen von Jahren in der Evolution entwickelt und war maßgeblich daran beteiligt, dass unsere Vorfahren überlebt haben. In Gefahrensituationen, wie bei der Begegnung mit einem Raubtier, aktivierte Angst den sogenannten "Kampf- oder Fluchtmodus". Das Gehirn sendete ein Signal an den Körper, das ihn in Alarmbereitschaft versetzte: Die Herzfrequenz steigt, die Atmung wird schneller und die Muskeln spannen sich an – der Körper bereitet sich auf eine rasche Reaktion vor.
Diese automatische Reaktion schützt uns, denn sie macht uns aufmerksam und handlungsbereit. Doch im modernen Leben stehen wir oft nicht mehr solchen unmittelbaren Bedrohungen gegenüber. Stattdessen haben sich die Angstauslöser gewandelt – Prüfungen, Präsentationen oder zwischenmenschliche Konflikte lösen heute die gleichen biologischen Reaktionen aus, die früher das Überleben sicherten. Unser Drang, Angst zu vermeiden, ist daher in vielen Fällen weniger hilfreich als noch in der Steinzeit.
Warum wollen wir Angst vermeiden?
Obwohl Angst uns einst das Leben gerettet hat, ist sie heute oft nicht mehr in der gleichen Weise nützlich. Das Unbehagen, das sie hervorruft, führt dazu, dass wir sie vermeiden wollen. Doch es gibt tiefere psychologische Mechanismen hinter diesem Wunsch. Hier sind einige der wichtigsten Gründe, warum wir versuchen, Angst zu umgehen:
1. Unbehagen und Unsicherheit
Angst ist unangenehm. Sie erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit und des Kontrollverlusts, das viele Menschen als belastend empfinden. Wir wissen nicht, was als Nächstes passiert, und diese Ungewissheit fühlt sich bedrohlich an. Unser Gehirn sucht nach Sicherheit und Vorhersehbarkeit – zwei Faktoren, die uns helfen, uns wohl und geborgen zu fühlen. Wenn Angst aufkommt, bringt sie genau das Gegenteil mit sich: Unsicherheit. Deshalb sind wir evolutionär darauf programmiert, Bedrohungen aus dem Weg zu gehen, um wieder ein Gefühl der Stabilität und Sicherheit zu erlangen.
2. Vermeidung als kurzfristige Erleichterung
Wenn wir Angst vermeiden, erleben wir kurzfristig Erleichterung. Dieser Moment des Durchatmens, wenn wir eine unangenehme Situation umgangen haben, verstärkt unser Verhalten. Vermeidung ist eine schnelle Lösung, die uns sofort ein besseres Gefühl gibt. Diese kurzfristige Erleichterung kann jedoch langfristig problematisch werden, denn durch ständiges Ausweichen verstärken wir das Gefühl der Hilflosigkeit. Anstatt uns den Herausforderungen zu stellen und zu lernen, mit unserer Angst umzugehen, behalten wir das Muster der Vermeidung bei, was die Angst sogar verstärken kann.
3. Angst vor dem Scheitern
Oft liegt hinter der Angst eine noch tiefere Befürchtung: die Angst vor dem Scheitern. Die Vorstellung, dass etwas schiefgehen könnte, dass wir versagen oder uns blamieren könnten, hält viele Menschen davon ab, sich unangenehmen Situationen zu stellen. Diese Angst vor dem Scheitern kann in beruflichen, sozialen oder persönlichen Bereichen auftreten. Durch die Vermeidung solcher Situationen schützen wir unser Selbstbild und unser Ego. Doch dieser Schutzmechanismus hindert uns auch daran, neue Erfahrungen zu machen und zu wachsen.
4. Soziale Ängste und der Wunsch nach Akzeptanz
Ein weiterer wichtiger Grund, warum wir Angst vermeiden, ist der Wunsch nach sozialer Akzeptanz. Menschen haben das Bedürfnis, von anderen gemocht und anerkannt zu werden. Angst vor Zurückweisung, Kritik oder Bloßstellung ist eine der häufigsten Formen sozialer Angst. Um dieses Risiko zu minimieren, vermeiden wir oft Situationen, in denen wir uns verletzlich oder exponiert fühlen könnten. Der Gedanke, abgelehnt oder nicht gut genug zu sein, ist für viele Menschen schwer zu ertragen, weshalb sie den sozialen Kontakt oder herausfordernde Interaktionen meiden.
5. Negative Vorerfahrungen
Viele Menschen vermeiden Angst, weil sie in der Vergangenheit negative Erfahrungen gemacht haben. Wenn wir in bestimmten Situationen Angst erlebt und dabei versagt oder uns schlecht gefühlt haben, neigen wir dazu, diese Erlebnisse zu verallgemeinern. Das Gehirn speichert solche Erfahrungen als Warnsignale ab und versucht, uns vor zukünftigen Bedrohungen zu schützen. Dies führt dazu, dass wir ähnliche Situationen in der Zukunft meiden, selbst wenn diese objektiv betrachtet keine wirkliche Gefahr darstellen.
Vermeidung und ihre Folgen
Obwohl es verständlich ist, warum wir Angst vermeiden, hat dieses Verhalten oft unerwünschte Konsequenzen. Indem wir uns der Angst nicht stellen, lernen wir nicht, mit ihr umzugehen, und verstärken sie stattdessen. Dies führt häufig dazu, dass die Situationen, die Angst auslösen, immer beängstigender erscheinen, während unsere Fähigkeit, damit umzugehen, abnimmt. Langfristig können sich daraus chronische Angststörungen, Phobien oder soziale Isolation entwickeln.
Auch im zwischenmenschlichen Bereich kann die ständige Vermeidung von unangenehmen oder herausfordernden Situationen dazu führen, dass wir uns von anderen distanzieren oder wichtige Chancen verpassen. Beziehungen können darunter leiden, wenn wir Konflikten aus dem Weg gehen, und berufliche Möglichkeiten bleiben ungenutzt, weil wir Angst haben, uns zu beweisen.
Wege, um mit Angst umzugehen
Anstatt Angst zu vermeiden, ist es gesünder und langfristig effektiver, sich ihr zu stellen. Das bedeutet nicht, dass man sich sofort in die gefürchteten Situationen stürzen muss. Vielmehr geht es darum, schrittweise zu lernen, mit der Angst umzugehen und sie als Teil des Lebens zu akzeptieren.
1. Achtsamkeit und Akzeptanz
Ein erster Schritt, um mit Angst umzugehen, ist, sie bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren. Anstatt die Angst zu unterdrücken oder vor ihr wegzulaufen, kann Achtsamkeit helfen, die Emotionen zu beobachten, ohne sie zu bewerten. Durch Achtsamkeit lernen wir, dass Angst nur ein Gefühl ist – eines von vielen – und dass es vorübergeht, ohne dass wir darauf reagieren müssen.
2. Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Die Kognitive Verhaltenstherapie ist eine bewährte Methode, um Angststörungen und Vermeidungsverhalten zu behandeln. Sie hilft dabei, negative Denkmuster zu erkennen und schrittweise zu verändern. In der Therapie wird der Betroffene ermutigt, sich angstauslösenden Situationen zu stellen, um zu erfahren, dass die Angst oft unbegründet ist und mit der Zeit abnimmt.
3. Exposition
Expositionstherapie ist eine Methode, bei der sich Betroffene systematisch den Situationen aussetzen, die Angst auslösen. Indem man sich schrittweise an die Angstauslöser gewöhnt, lernt das Gehirn, dass diese Situationen keine reale Bedrohung darstellen und die Angst nachlässt. Diese Form der Therapie kann sehr effektiv sein, um Ängste langfristig zu reduzieren.
4. Positive Selbstgespräche
Viele Ängste entstehen durch negative Selbstgespräche und katastrophisierende Gedanken. Ein wichtiger Schritt zur Überwindung von Angst ist es, diese Gedanken bewusst zu hinterfragen und durch realistische, positive Überzeugungen zu ersetzen. Wenn wir uns daran erinnern, dass wir Herausforderungen bewältigen können und nicht immer das Schlimmste eintreten wird, reduziert das den Druck und die Angst.
Angst als Teil des Lebens akzeptieren
Angst zu vermeiden ist ein natürlicher Impuls, der uns kurzfristig Erleichterung verschafft. Doch auf lange Sicht hindert uns dieses Verhalten daran, unser volles Potenzial auszuschöpfen und ein erfülltes Leben zu führen. Angst gehört zum menschlichen Dasein dazu, und anstatt sie als Feind zu betrachten, können wir lernen, sie als Begleiter zu akzeptieren.
Durch Achtsamkeit, Selbstreflexion und den Mut, sich den angstauslösenden Situationen zu stellen, können wir unsere Angst überwinden und gestärkt daraus hervorgehen. Die Vermeidung von Angst mag uns kurzfristig Sicherheit bieten, aber echte Freiheit und persönliches Wachstum entstehen, wenn wir uns der Angst stellen und lernen, mit ihr umzugehen.
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